DER FLUCH DER GUTEN VORSÄTZE

Da staunte der Truthahn…

„Ein Truthahn wird tausend Tage lang gefüttert. Jeden Tag registriert die statistische Abteilung seiner Gehirnregion, dass die menschliche Rasse sich um sein Wohlergehen sorgt, und jeden Tag erhärtet sich diese Feststellung mehr. An einem schönen Mittwoch-nachmittag, einen Tag vor „Thanksgiving“, erlebt der Truthahn eine Überraschung.“ So schreibt Frank Schirrmacher in der FAZ über die aktuelle Finanzkrise.

Wir erleben gerade eine fundamentale Demontage unserer Lebenssicherheit. Wir reagierten mit Angst auf 9/11 und reagieren mit Angst auf die Finanzkrise. Und Angst ist kein guter Ratgeber, denn zu Tode geängstigt ist auch gestorben.

Wer die Vergangenheit auf die Zukunft einfach hochrechnet, wird blind gegenüber überraschenden Ereignissen. Im privaten Bereich bei Beziehungen und im gesellschaftlichen Bereich vom Fall der Berliner Mauer bis zur aktuellen Finanzkrise. Veränderungen kommen schnell, plötzlich und unerwartet. Das Huhn oder das Schwein, das täglich so freundlich gefüttert wird, fühlt sich am Tag seiner Schlachtung sehr sicher.

Vergangene Erfahrungen, seien sie persönlicher, politischer oder wirtschaftlicher Natur, müssen als Projektionen für die Zukunft in Frage gestellt werden. Veränderungen im individuellen Bereich können nur stattfinden, wenn der entscheidende Schritt gesetzt wird:
Der Schritt vom Vorsatz zur Entscheidung.

Zukunftsplanung

Was steckt dahinter, dass wir unsere „guten“ Vorsätze nicht umsetzen oder genauer gesagt, nicht umsetzen können? Warum entscheiden wir uns nicht einfach für Dinge, die uns nützen würden? Einfache Antworten auf komplizierte Fragestellungen sind immer falsch. Auch John Nash, Nobelpreisträger 1994 für Wirtschaftswissenschaften, weiß, dass „die Innenwelt weit komplizierter ist als es Freud angenommen hat“.

Wenn Sie es ernst meinen mit Ihrer Zukunft, schütten Sie sich nicht mit unsinnigen Tätigkeiten zu. Nehmen Sie sich Zeit zum Nachdenken, wenn nötig und möglich, auch mit professioneller Hilfe.

Die (programmierte) Enttäuschung

Es vollzieht sich wie ein immer wieder kehrendes Naturschauspiel. Gegen Ende des Jahres wird die innere Stimme, die zu guten Vorsätzen auffordert, immer lauter. Unterstützt von allen Medien, vom Boulevard bis Qualität, gedruckt, online oder gesendet und es werden viele wertvolle Tipps gegeben. (Auch hier werden Sie am Ende der Ausführungen eine Auflistung davon finden.)
Diese guten Vorsätze führen mit Sicherheit zur ersten bitteren Enttäuschung in jedem Neuen Jahr.

Böse kleine Vorsätze

Wie mit einem Vorsatzgenerator produziert die Hälfte der Österreicher zu Jahresende ihre immer gleichen Vorsätze: mehr Bewegung, weniger essen, weniger rauchen, weniger Alkohol, bewusstere Ernährung, weniger Stress, mehr für die Familie da sein, öfter ein gutes Buch lesen, mehr Öffis verwenden, keine dummen Fragen stellen usw.
Siebzig Prozent dieser Vorsätze scheitern in der Anfangsphase (Institut für Demoskopie Allensbach, 2007) und die Hälfte wird
nach einem halben Jahr nicht mehr erinnert und gerade einmal
10 Prozent werden bleibend umgesetzt.

Böse große Vorsätze

Unter den „Vorsatzfassern“ gibt es auch einige (mir ist dazu keine Statistik bekannt), die sich tief greifender verändern wollen: ich will ein guter Mensch werden, ich werde nicht mehr so cholerisch sein, ich werde extrovertierter sein und mehr unter Leute gehen, ich werde meine Persönlichkeit verändern, ich werde selbstbewusster auftreten usw.

Auf der einen Seite steht der intensive Wunsch nach Veränderung und Verbesserung und auf der anderen Seite die übermächtige Gewohnheit und Vertrautheit von Verhalten und Verhaltensmustern. Die Frage ist nur, welche Seite ist stärker? Zu glauben, der Wunsch nach Veränderung führe mit ein wenig Anstrengung schon zum Erfolg, ist eine schöne Illusion.
„Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu“ lässt schon 1926 Ödön von Horvath seine Ada, Freifrau von Stetten, in „Zur schönen Aussicht“ philosophieren. (Und btw: Udo Lindenberg verwendet 2008 das Zitat in seinem Song „Ganz anders“).

Böse böse Vorsätze

Beide Vorsatzgruppen – die „seichten“ und die „tiefen“ – tragen den Keim des Scheiterns schon in sich: Mit 90%iger Sicherheit führen sie zu Enttäuschung und letztendlich zu einer Verfestigung bestehender Gewohnheiten. Gute Vorsätze sind eigentlich böse Vorsätze!

Der entscheidende Vorsatz und ein flexibler Plan

Um aus diesem jährlichen Teufelskreis herauszukommen, vergessen Sie die Vorsätze, treffen Sie Entscheidungen!
Haben Sie Ihre Entscheidung getroffen, dann gibt es viele Wege, das Ziel zu erreichen. Erstellen Sie sich mehrere Pläne (Szenarien) dazu. Lassen Sie sich ein auf ein experimentelles Verhältnis zur Welt und zu sich selbst ein; auf ein „sowohl - als auch“, auf ein „trial and error“ – auf ein „spielerisches“ Verhältnis.
Alle großen Erfindungen unserer Zeit (Laser, Computer, Internet) sind Ergebnisse von Spielen. „Don’t push the river – it flows by itself“ rät schon Fritz Perls, Psychoanalytiker und Begründer der Gestalttherapie.

 




DR. FRANZ J. SCHAUDY
             
 WIRTSCHAFTSPSYCHOLOGE

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