DAS SYSTEM IST AM ENDE, aber das Leben geht weiter...
...so titelte die FAZ schon 2012 ein Interview mit dem Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel.
Auch
wenn wir davon ausgehen, dass die Optimierungsprozesse, die Restrukturierungen, die Kostensparprogramme, die Ziele im Tagesgeschäft, die Innovationsinitiativen - das Schneller, das Höher, das Weiter – demnächst das System zum Implodieren oder Explodieren bringen wird – was machen wir bis dahin? Das Leben geht ja weiter. Sollen wir hedonistisch „die Welle reiten solange es geht?“ oder depressiv „jammern auf hohem Niveau“?
Selten in der Geschichte der Menschheit war die Kluft zwischen optimistischen und pessimistischen Szenarien größer als zu unserer Zeit. Optimistische Szenarien setzen auf die evolutionäre Anpassung des Menschen an die sich rasant ändernden Bedingungen, pessimistische Szenarien sehen den baldigen Untergang der Menschheit kommen.
Beide Szenarien existieren nebeneinander.
Von Janis Joplins „Oh Lord won’t you buy me a Mercedes Benz“ (1970, recorded drei Tage vor ihrem Tod) über „Geiz ist geil“ bis zu umweltzerstörenden und menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in Goldgruben, auf Kaffeeplantagen und Baumwollfeldern spannt sich der Bogen der Unersättlichkeit. Wir alle wissen davon, hören darüber und fühlen uns zugleich einem System ausgeliefert, dessen Teil wir selbst sind.
Was bedeutet dies für einen CEO, CFO, COO, für einen Abteilungsleiter, Team- oder Projektleiter? An welcher Stelle der Kette man sich auch befindet, man kann sich dem System nicht entziehen. Diese Tatsache scheint unbestritten. Sozialwissenschaftler sprechen von der Ökonomisierung, die alles durchdringt, die die Bereitschaft eines jeden Einzelnen bis in den Schlaf hinein verlangt – und Schlafstörungen, natürlich neben allen anderen hinlänglich bekannten Störungen, stark ansteigen lässt.
Hannah Arendt löste 1961 einen Sturm der Entrüstung und des Unverständnisses aus, als sie als Beobachterin des Eichmann Prozesses in Jerusalem (im Auftrag vom The New Yorker) von der „Banalität des Bösen“ sprach. An der Bruchstelle vom Industrie- zum Informationszeitalter wird eine weitere Banalität sichtbar, die ich als Chronist unserer Zeit als
DIE BANALITÄT DER GIER bezeichnen möchte.
Walter Geyer, ehemaliger Chef der Korruptionsstaatsanwaltschaft, meinte in einem Interview, dass sich „Korruption gasförmig ausbreitet.“ So wie sich schleichend ein Unrechtsbewusstsein verflüchtigt, so schwindet auch allmählich das Gefühl für qualitatives Erleben. Wir befinden uns in einem kollektiven Rauschzustand, der uns nur wenige Augenblicke klaren Denkens und kritischen Hinterfragens gestattet: „Wofür dies alles?
Die internationale Glücksforschung hat nicht nur die Ratgeber-Literatur beflügelt, sondern durchaus auch wissenschaftlich fundierte Ergebnisse gebracht. Eines davon ist die Erkenntnis, dass es sehr schwierig ist das „Glücksgefühl“ zu erhöhen, wenn die Grundbedürfnisse des Menschen einmal befriedigt sind. Und bestätigt ist auch, dass trotz steigenden Wohlstands das Zufriedenheitsgefühl (Glücksgefühl) in unseren Breiten um keinen Millimeter zugenommen hat. Was sind aber die Grundbedürfnisse eines Menschen? Was sehen wir als unsere Grundbedürfnisse an?
Der „World Values Survey“, eine Langzeitstudie von John F. Helliwell
von der „University of British Columbia“ ( seit 1981,
90 000 Menschen,
46 Länder) identifiziert 7 Glücksfaktoren.
Deren Gewichtung unterliegt vielen soziokulturellen Veränderungen, ansonsten aber zeigen sich die 7 Faktoren als langfristig sehr stabil:
Familiäre Beziehungen, Finanzielle Lage, Arbeit, Soziales Umfeld, Gesundheit, Persönliche Freiheit, Lebensphilosophie.
Wer sich in seinem nahen Umfeld mit existenziellen Fragen konfrontiert sieht, der weiß um die Relativität von Budget- und Umsatzzielen, von Deckungsbeiträgen, Headcount Reductions, Rentabilität etc. Auch in meiner täglichen Arbeit bestätigt sich immer wieder, dass Geld allein nicht glücklich macht und Sigmund Freuds These, dass es sich bei Geld eben um keinen (frühen) Kindheitswunsch handelt, sehr einleuchtend erscheint. Aber der Umkehrschluss sollte auch nicht verschwiegen werden: Geld allein macht nicht unglücklich(er)…
Wir müssen von der Wissenschaft lernen, dass komplexe Systeme nicht linearen Gesetzen folgen, sondern sich plötzlich und sprunghaft verändern. Das Römische Reich verschwand binnen weniger Generationen, genauso das Byzantinische Reich und die Habsburgermonarchie. Auch die Sowjetunion kollabierte rasant. „Wir können aus der Geschichte lernen, aber wir tun es nicht“ meinte der Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson. Und der französische Philosoph Jean-Luc Nancy meint, dass wir uns in der Situation wie die Römer im 6.Jahrhundert n. Chr. befinden. „Die Römer wussten, dass etwas zu Ende geht, die Antike. Das christliche Mittelalter aber ließ sich weder vorhersehen noch vorstellen.“ Genau so wenig können wir uns vorstellen, was der gegenwärtigen Umbruchphase folgen wird.
Wie zu Beginn festgestellt: das geht Leben weiter.
Konzepte, um dieses Leben bestmöglich zu meistern, sind zur Genüge bekannt und oftmals wiedergekäut: Man kann trainieren, sich optimieren. Man geht an die Aufgaben „lösungsorientiert“ und nicht „problemorientiert“ heran, man fokussiert auf das „Hier und Jetzt“, man motiviert sich „interessengeleitet“, man „aktiviert seine Kompetenzen“ aus den eigenen „Erfahrungsressourcen“.
Man agiert „zielorientiert“, setzt sich nur Ziele, die man „eigenverantwortlich“ und „ganzheitlich“ bewältigen kann, man „nutzt seine Potenziale“, um „effizienter“ zu werden, man stärkt sein „interkulturelles Bewusstsein“, um die internationalen Prozesse und „critical incidents“ besser handhaben zu können. Als Führungskraft kennt und verfügt man selbstverständlich über das entsprechende Know how von Führungsstilen, Kommunikationsgesetzen und Motivatoren, etc.etc.
Gerne möchte ich diese oben angeführten Gedanken als Anregung und als (spielerisches) Nachdenken verstanden wissen ...